Wieso der Klettergarten die Unternehmenskultur nicht verändert
Ich blogge einmal wöchentlich für das Netzwerk “intrinsify.me”. Dabei darf ich wunderbarerweise auch ordentlich polarisieren. Wie bei diesem hier.
Den Originalbeitrag finden Sie hier.
Schulze kann nicht mit Martens. Er ist sich sicher: Der sägt an seinem Stuhl. Und wenn der Verkauf zum Kunden geht, verspricht der jedes Mal das Blaue vom Himmel. Wie die Mannschaft das dann hinkriegen soll? Ihm doch egal. Hauptsache, der Bonus ist im Sack.
Ach und Elena, die allen suspekt ist, weil sie etwas schräg rüber kommt und immer mit ihrem Mops im Büro erscheint. Die passt ja wohl Null ins Team. Der Chef sagt zwar, sie hat geniale Ideen. Aber bitte, das sind doch alles Spinnereien.
In dieser Abteilung läuft so gar nichts rund. Schulterschluss? Fehlanzeige. Logisch, dass dann auch die Leistung runter geht.
Schnell ist klar: Hier fehlt wirklicher Teamgeist. Wenn man den aufbaut, ist der Weg zum Erfolg wieder frei. Prima.
Herr Doktor, wir brauchen ein Team Event!
Okay. Das Problem ist bekannt. Die Lösung schnell auf dem Tisch: Ein gemeinsamer Grillabend. Schön zwanglos und bierseelig. Der Abteilungsleiter stimmt mit seinem Bereichsleiter die Aktion ab und spricht zusätzlich mit einigen Mitarbeitern. Darunter auch ein paar Zweifler. Sie können zwar ihre Skepsis nicht in Worte fassen, aber irgendwie wissen sie, dass das nichts bringt…
Nun, der Missstand ist letztlich für alle einzusehen, und so werden die Skeptiker schnell überstimmt.
Und siehe da: In geselliger Runde verstehen sich tatsächlich alle prima! Auch an den Schnittstellen – da, wo es öfter mal kracht – herrscht Frieden. Die Stimmung ist Bombe. Große Verbrüderung. Und man ist sich einig, dass es jetzt richtig nach vorn geht.
Gute Nacht, liebe Brüder und Schwestern.
Und dann?
Nichts. Nach dem Event hat sich die Zusammenarbeit nicht im Geringsten verändert. Und nach zwei Wochen ist die Stimmung wieder genauso so schlecht wie vorher. Mindestens.
Ein Teamevent ist ein Teamevent. Sonst nichts.
Beim Grillabend heile Welt. Und im Büro wieder Einzelkampf und Kleinkrieg. Wieso nur? Wieso lässt sich die Verbrüderung nicht im Alltag fortsetzen?
Um das zu verstehen, lohnt sich ein Ausflug in die Systemtheorie. Hin zu der Frage: Wie entwickeln sich Verhaltensmuster in sozialen Systemen? Der erste Impuls: Naja, durch die Menschen doch sicher. Aber da sind wir auf dem Holzweg. Nein, es sind die Kommunikationsstrukturen im System – die Verhältnisse vor Ort – die das Miteinander ausmachen.
Sprich, die gleichen Personen verhalten sich in verschiedenen Umgebungen komplett anders. Nämlich den dortigen Gepflogenheiten entsprechend. Deshalb wird in der Oper geschwiegen und im Fußballstadion gebrüllt.
Das kennt auch jeder von uns aus dem Alltag. Ich bin im Freundeskreis ein anderer Mark als in der Familie, als beim Kunden, als auf der Bühne.
Wie sieht das konkret bei unserem Grillabend aus? Nun, in diesem System verhalte ich mich frei und gesellig. Hier bin ich (fast) unabhängig von jeder Rolle im Job. Beim Grillabend darf ich schon mal kumpelig werden. Ich sollte es sogar. Und trotzdem gelten auch hier brisante Kulturmuster, die von den Hierarchieverhältnissen im Unternehmen gefärbt sind.
Und am nächsten Morgen im Büro? Hier bin ich zwar exakt der gleiche Mensch. Aber ich bewege mich in einem völlig anderen System. Und dort verhalte ich mich eben entsprechend. Der Schulterschluss vom Vorabend ist in diesem Kontext völlig irrelevant!
Am Grill der Hans Jürgen, im Büro der Hans Wurst.
Fakt ist: Die Kultur, die sich bei einem Grillabend einstellt, hat rein gar nichts mit der Kultur zu tun, die bei der Arbeit herrscht. Denn im Job bildet sich ein ganz eigenes Sozialsystem – mit ebenso eigenen Kulturmustern.
Übrigens: Aus gleichem Grund fühlt man sich im Ausland (insbesondere dort wo sich die Kultur besonders unterscheidet) machtlos. Man hätte gerne, dass alle sich genauso brav in die Schlange stellen, wenn sie ein Zugticket kaufen, aber das macht man hier wohl nicht.
Will ich also Teamgeist, so hilft kein Event. Selbst ein geheimes Treffen bei Vollmond um Mitternacht wird ihn nicht herbeischwören können.
Teamgeist kann sich immer nur selbst entwickeln. Aus den Verhältnissen vor Ort. Oder eben nicht.
Es nützt also rein gar nichts, bei den Menschen selbst anzusetzen. An ihr Verhalten zu appellieren. Oder sie ein bisschen einzuwickeln. Alles für die Katz. Wenn der Kontext andere Signale setzt.
Das ist auch der Grund, warum Apelle niemals fruchten. Die können nämlich immer nur eins: Lauthals ein Symptom beklagen, dessen Ursache unangetastet bleibt.
Für eine neue Kultur braucht man keine Animateure, sondern Handwerker.
Wenn man also etwas gestalten will – meinetwegen die Art und Weise, wie x und y zusammen arbeiten – dann muss man die Strukturen ändern. Dann muss man an die Gepflogenheiten vor Ort ran.
Will ich, dass die Leute mucksmäuschenstill sind oder ausgelassen um die Wette brüllen? Baue ich also eine Oper um die Mannschaft oder ein Fußballstadion?
Will ich ein größeres Vertrauen zwischen zwei Geschäftsbereichen, dann müssen die Handwerker eben die Wände einreißen. Die Arbeit wird ab jetzt zusammen erledigt, indem der Entwickler möglicherweise mit dem Vertriebler gemeinsam zum Kunden geht.
Wichtig dabei: Jede Baumaßnahme muss immer die echte Arbeit betreffen. Denn nur hier entsteht ja das bemängelte Kulturmuster. Es hilft also nichts, wenn der Vertriebler mal mit dem Entwickler einen Kaffee trinken geht. Sicher, dann verstehen die beiden sich für ein paar Tage wieder besser. Aber das löst das Problem nicht.
Schon mal versucht, das Gedächtnis zu beeinflussen? Nein? Geht auch nicht.
Ohne Baumaßnahmen keine Veränderung im Miteinander. Jede Aktion, die nur am Miteinander ansetzt, die mit Kulturveränderung winkt, ist zum Scheitern verurteilt. Und warum? Weil Kultur das ist, was entsteht. Tagtäglich. Aus den Verhältnissen vor Ort. Kultur ist das Gedächtnis der Organisation.
Einzelleistung wird belohnt? Merken. Und Ellenbogen ausfahren. Der Chef hat das letzte Wort? Merken. Und sich besser rückversichern.
Wenn ich will, dass sich die Mannschaft etwas anderes merkt, dann muss ich ihr auch etwas anderes liefern. Also die Verhältnisse vor Ort verändern. Ganz faktisch. Ändern müssen sich Regeln, Prozesse, Teams, Hierarchieverhältnisse, Aufgaben, erst dann zieht die Kultur nach. Wie? Das weiß man vorher nicht. Kultur ist eben nicht kausal.
Kultur resultiert aus den Bräuchen und Sitten, aus den Mauern und Fallen. Sie ist das Gedächtnis der Mannschaft. Sie ist Ergebnis. Nie Stellgröße.
Ebenso wenig wie man Licht auf der Nordseite eines Großbaues erwarten kann, indem man mit dem Schatten schimpft, kann man im Unternehmen versuchen, direkt die Kultur zu adressieren. Das geht immer nur über den Umweg der Verhältnisse. Also Großbau abreißen.
Schwieriges Thema, diese Kultur. Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Wir sehen viel Verwirrung rund um das Thema Unternehmenskultur. Und überall wird an den Menschen gewerkelt. Als seien sie veränderungsbedürftige Mangelerscheinungen. Das ist nicht unser Weg. Wir sagen: Ran an die Verhältnisse! Für mehr happy working people!