Beitrag PZH-Magazin 2014: »Einsteiger, die die Welt nicht braucht«
Scheinbar Selbstverständliches pointiert aufs Korn nehmen. Schön, wenn ein Auftraggeber da mitgeht. Hier geht es um die alten Zöpfe in der Arbeitwelt – für das Magazin des PZH (Produktionstechnisches Zentrum Hannover).
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Einsteiger, die die Welt nicht braucht
Eigentlich war er stolz gewesen – stolz auf den neuen Job, das eigene Büro, stolz auf das gute Gehalt. Aber heute empfindet er das eher als Schmerzensgeld für die undankbare Rolle: Informationen von Werkern einholen und aufbereiten, für die Chefetage. Damit sie dort ihre Entscheidungen treffen können. Und die darf er dann wieder vermitteln. Einmal rauf und wieder runter. So hat er er sich seinen Berufseinstieg nicht vorgestellt.
Ach, wenn er selbst Chef wäre, denkt er, er würde es anders anfangen. Er würde die an den Tisch holen, die sich auskennen. Und gemeinsam würden sie die Verantwortung tragen. Keine Mittelsmänner mehr. Weg mit Befehl und Gehorsam. Abschaffen, das Ganze… Das Telefon klingelt und bringt ihn unbarmherzig auf den Boden der Tatsachen zurück. Er wird sich wieder durch einen Berg ungeordneter Zahlen, Daten und Fakten wühlen müssen und sie interpretieren. Irgendwie.
Wir kennen diesen Arbeitsalltag nur zu gut – ein Alltag, der mit seinen Weisungsbefugnissen und Verantwortungsbereichen, mit seinen Mittelsmännern und -frauen zwischen den Entscheidern „da oben“ und den Machern „da unten“ noch jedem Einsteiger unbarmherzig die Ideale abtrainiert hat.
Doch woher kommt diese Trennung eigentlich? Und macht sie am Ende Sinn? Sollen wir uns damit arrangieren? Sollen wir dem Berufseinsteiger mit auf den Weg geben, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden – und sich entsprechend zu qualifizieren?
Eingebrockt hat uns die Suppe ein gewisser Frederick Winslow Taylor.
Eingebrockt hat uns die Suppe ein gewisser Frederick W. Taylor. Er hat zur Blütezeit der industriellen Revolution die Arbeitswelt neu organisiert – und dabei ein Fundament geschaffen, auf dem heute noch viele Unternehmen aufbauen. Sein Ziel: Die Effizienz der Arbeit zu erhöhen. Dafür hat er vor allem eines getan: Er hat eine Trennung geschaffen zwischen „Denken“ und „Handeln“ – zwischen „oben“ und „unten“. Ein paar Leute in der Fabrik waren „oben“, die Denker. Sie planten, führten Messungen durch, wie- sen an und kontrollierten. Und Tausende waren „unten“ – fleißige Arbeitsbienen an der Werkbank. Sie arbeiteten nach mög- lichst genauen Regeln, nach Standards und Zeitvorgaben.
Jede Arbeitsbiene fliegt ihren eigenen besten Weg. Immer wieder. Im Einkauf. Im Verkauf. Im Controlling.
Und noch etwas haben wir ihm zu verdanken: Die funktiona-le Teilung in den Unternehmen. Jede Arbeitsbiene fliegt ihren eigenen besten Weg. Immer wieder. Im Einkauf. Im Verkauf. Im Controlling. Und was es sonst noch für Schubladen gibt im Business. Erst wenn der Kopf nicht mehr nötig ist, der Mensch also quasi als Maschine arbeitet, kann sich Effizienz richtig ent- falten – so die Vision des Taylorismus.
Und nun ist die Wirtschaft durchzogen mit normierten Handlungsmustern. Doch nicht nur das. Auch die Management-Praktiken zogen mit und entwickelten entsprechend normierte Denkmuster. Denkmuster, mit denen der Laden „geschmissen“ wurde. Und so kunterbunt die Unternehmenswelt auch heute ist, die Managementpraktiken sind in nahezu allen
Unternehmen tupfengleich: überall dieselben Managementsys- teme, dieselben Prozesse, dieselben Rituale, dieselben Strukturen. Und im übrigen: auch überall dieselben Sorgen aus denselben Gründen.
Die Folge dieser Normierung: Ein ziemlich genaues Bild vom Mitarbeiter, der in die jeweilige Norm passt. Für jede Fachrichtung gab es die „richtige“ Ausbildung und den „richtigen“ Einsatzzweck. Nach und nach auch den „richtigen“ Auswahl- prozess und den „richtigen“ Einarbeitungsprozess. Die Universitäten richten sich danach und haben diesen Bedarf befriedigt. Stellenanzeigen spiegeln das genaue Bild des gewünschten Mitarbeiters wieder. Normierte Bewerbungsverfahren beurteilen und sieben aus, was nicht passt. Und diese Denke setzt sich überall fort. Exakte Stellenbeschreibungen und Verantwortungen. Ein Einarbeitungsprogramm macht den Mitarbeiter fit für „seine Stelle“. Und für seinen weiteren Berufsweg gibt es ein standardisiertes Talentmanagement.
So haben wir das Werk des Herrn Taylor fleißig fortgeführt. Wir sieben aus, was nicht in die Norm passt. Alles zum Wohle der Effizienz. Und einige Jahrzehnte hat es uns auch großen Erfolg und den Menschen Arbeit und Wohlstand gebracht.
Und jetzt? Ist, was damals gut war, auch heute richtig? Lei-se wurde das bereits in den 1980er Jahren hinterfragt. Mit der Empowerment-Ära kam ein neues Bild auf: Querdenker waren plötzlich gefragt. Unternehmen warben damit, auch sogenann- ten „Seiteneinsteigern“ eine Chance zu geben. Jedenfalls auf dem Papier. Denn allein das Wort verrät schon, wie es um die tatsächlichen Motive der Unternehmen bestellt war. Nennt man so jemanden, den man unbedingt in seinem Team haben will? In einigen wenigen Exotenfirmen oder auch in kleineren Innovationsabteilungen von ansonsten eher traditionell arbeitenden Unternehmen wurde es zwar Wirklichkeit. Aber in den allermeisten Unternehmen stand es nur in den Karrierebroschüren. Hier legte man sogar noch eine Schippe drauf: Standardisierte Assessments wurden eingeführt, um Mitarbeiter auszuwählen oder weiter zu qualifizieren. Denn noch immer stand die Effizienz an erster Stelle. Und so blieben die Stimmen, die ein an- deres Bild von der Arbeit proklamierten, leise. Aber sie blieben.
Irgendwie muss doch die Masse zu bewegen sein. Ist sie aber nicht.
Die Wirtschaft veränderte sich weiter. Und schließlich erhärtete sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein Verdacht: Effizienz war für den Standort Deutschland gar nicht mehr das Non plus Ultra. Viel wichtiger wurde das Thema Innovationskraft und -geschwindigkeit. Und so stießen sie folgerichtig die „gute alte“ Effizienz vom Siegertreppchen.
Doch jetzt hakt es allerorten. Irgendwie will das mit den al- ten Herangehensweisen nicht so recht klappen. Waren für eine effiziente Produktion Standardisierung und einheitliche Mitarbeiter entscheidend, die reibungslos funktionierten, so stört die Homogenität jetzt augenscheinlich. „Wieso läuft‘s nicht“, fragt sich denn auch die Chefetage. Dann werden neue Anreizsysteme entwickelt oder eine Lawine von Führungskräfteseminaren ausgelöst. Scheinbares Motto: „Wenn die alten Methoden heute nicht mehr so gut funktionieren, müssen wir mehr davon machen und sie noch konsequenter anwenden.“ Irgendwie muss doch die Masse zu bewegen sein. Ist sie aber nicht.
Wen wundert’s? Mit dem bestehenden Arbeitsbild plötzlich andere Ergebnisse erzielen zu wollen, ist ja so, als würde man einem Löwen im Zoo ein Bild von einer Antilope in der Savanne zeigen und sich dann wundern, warum sein Jagdinstinkt nicht geweckt wird.
Mehr und mehr Unternehmen verstehen deshalb, dass wir ein grundlegend neues Arbeitsbild brauchen. Weg von der Standardisierung. Prominente Beispiele sind Google, dm Drogeriemarkt oder das Unternehmen W.L. Gore, das Gore-Tex-Materialien herstellt. Was haben diese Unternehmen gemeinsam? Richtig. Sie sind in ihrem Marktsegment die unan- gefochtene Nummer eins. Und warum? Sie haben nicht nur Produkt- und Geschäftsmodell-Innovation betrieben, sondern vor allem auch im Bereich Organisation und Führung für echte Neuerung gesorgt. Hier geht es auf einmal um Passung, um bewusste, echte Diversifikation. Motivierung wird schlicht weggelassen, denn sie ist schädlich.
Sinngetriebene Freigeister werden auf den alten Kähnen leider nicht gebraucht.
Nun kann man als Einsteiger auf den „alten Kähnen“ natürlich noch anheuern. Sie werben schließlich mit einem goldenen Image und verlockenden Bonusprogrammen. Doch es knirscht überall und ein Loch nach dem anderen wird notdürftig gestopft. Und sinngetriebene Freigeister werden hier leider nicht gebraucht.
Man will den Einsteigern zurufen: „Besser ihr übernehmt selbst Verantwortung! Sucht euch die Unternehmen, die dem Taylorismus den Rücken zugewandt haben, die schon heute beginnen, auf die Praktiken des alten Managements zu verzichten und nicht nur kosmetische Änderungen vornehmen.“ Denn jene, die am alten Management festhalten, sind die Unternehmen, die die Welt (bald) nicht (mehr) braucht.