Aus meiner Feder

Die Burnout-Lüge: Warum wir innerlich ausbrennen

Für das Netzwerk intrinsify.me führte ich ein Interview mit der Burnout-Expertin, Dr. Mirriam Prieß (Hamburg). Manche Gespräche machen etwas mit einem…dieses war so eins. Ein Interview in drei Teilen. Hier: Teil 1.


Den Original-Blogbeitrag finden Sie hier.


 

„Die Krankheitstage aufgrund von Burnout sind zwischen 2004 und 2011 um das 18-fache gestiegen. Das belegen neue Statistiken des BKK-Bundesverbands. Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen dagegen vorgehen, aber sie streiten noch über die Ursachen…“ So sinngemäß eine Meldung aus der Tageszeitung „Die Welt“ vom 27.1.2013.  Und vielleicht noch eine Zahl: „Die Ausfälle wegen Burnout haben seit 1999 in 12 Jahren um 80% zugenommen“ (Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, 2011). Nun mag man Statistiken grundsätzlich anzweifeln oder nicht, dass es sich beim Burnout aber um ein sehr verbreitetes Syndrom handelt, wird man wohl akzeptieren müssen. Und letztlich ist das Wasser auf unsere Mühlen. Wir nehmen also diese Volkskrankheit einmal genauer unter die Lupe und sprechen darüber mit Burnout-Coach Dr. Mirriam Prieß, Autorin des Buches „Burnout kommt nicht nur von Stress: Warum wir wirklich ausbrennen – und wie wir zu uns selbst zurückfinden“.

 

Alexandra Vollmer: Sie beraten und helfen Menschen bei Burnout. Warum sind Sie als Ärztin genau in diesem Bereich unterwegs?

Dr. Mirriam Prieß: Nach meinem Medizinstudium war ich fast 10 Jahre in einer psychosomatischen Fachklinik tätig. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass die Burnout- Erkrankung immer weiter zunahm. Parallel begann ich, in der Wirtschaft zu beraten. Und auch hier begegnete mir diese Erkrankung zunehmend. Schon 2005 wurde Burnout hier langsam aktuell. Wir hatten hier die erste psychosomatische Erkrankung, die man benennen konnte – und auch wollte. Depressiv war letztlich keiner, aber unter Burnout zu leiden, was fast schick – denn wenn man ausbrannte, dann brannte man zumindest für etwas.

 

Alexandra Vollmer: Warum das denn? Ich finde daran nichts Glamouröses.

Dr. Mirriam Prieß: Da ist auch nichts dergleichen. Aber auf den ersten Blick kann man diese Krankheit auf enormen beruflichen Einsatz schieben. Und das ist ja quasi schon mal ein Ritterschlag.

 

Alexandra Vollmer: Und auf den zweiten Blick? Was verbirgt sich denn genau hinter dieser Krankheit?

Dr. Mirriam Prieß: Im medizinischen Sinne existiert Burnout nicht als Krankheit, die nach ICD 10 (die amtliche Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen) diagnostiziert werden kann – sondern Burnout ist lediglich ein Syndrom. Letztendlich ist Burnout nichts anderes als eine Erschöpfungsdepression, d.h. jeder der ausgebrannt ist, ist depressiv. Hingegen nicht jeder, der depressiv ist, besitzt auch diese ausgeprägte Erschöpfung. Die Erschöpfung nimmt den Betroffenen jede Energie und jeden Lebensmut. Und da ist nichts, aber auch rein gar nichts Erstrebenswertes dran. Hier aufzuklären und zu helfen ist der Grund für meine Arbeit.

 

Alexandra Vollmer: Mit welchen Symptomen kommen die Menschen zu Ihnen? Wie wirken sie auf Sie? Was sagen sie in der Regel?

Dr. Mirriam Prieß: Die meisten Menschen kommen erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Man unterscheidet bei der Burnout-Entwicklung 4 Phasen:

  1. Alarmphase
  2. Widerstandsphase
  3. Erschöpfungsphase
  4. Rückzugsphase

Und in jeder Phase finden wir verschiedene körperliche, geistige/gedankliche, Verhaltens- und emotionale Symptome. Burnout beginnt in der Phase der Erschöpfung und ist voll ausgeprägt in der Phase des Rückzugs. Hier ist vor allem der innere Rückzug gemeint, der sich am Ende auch in einem äußeren Rückzug manifestiert. Die Betroffenen haben sowohl den Kontakt zu sich selbst als auch zu ihrem Umfeld verloren. Viele haben sich völlig sozial zurückgezogen. Sie alle klagen über ein massives Überforderungsgefühl: „Mir war schon zu viel, um die Ecke zu gehen und einzukaufen“, so einer meiner Patienten. Es ist, als wenn der Stecker gezogen wurde – es geht nichts mehr, und es ist nichts mehr da, worauf zurückgegriffen werden kann.

 

 

Alexandra Vollmer: Meine Güte…Wie kommt es denn zu dieser Entwicklung? Was stimmt bei diesen Menschen nicht?

Dr. Mirriam Prieß: Während meiner Arbeit in der Klinik wurde mir deutlich: Die zentrale Ursache für Burnout ist nicht ein Zuviel von irgendwas an sich, sondern Ursache ist immer eine Beziehungsstörung. Die Betroffenen haben die Beziehung zu sich selbst verloren. Sie können so ihr eigenes Maß nicht finden, sie wissen schlichtweg nicht, was sie wollen und was sie brauchen. Das führt dazu, dass sie ihre Rettung im „Außen“ suchen. Die Geschichte von Narziss beschreibt den Grund dieser verlorenen Beziehung zu sich selbst. Es existieren viele Variationen, aber im Grunde geht es um einen selbstverliebten Jüngling, der durch die Welt geht und versucht, sich überall zu spiegeln. Schließlich kommt er an seinen See und will fasziniert sein Spiegelbild berühren. In dem Moment, in dem er sich anfassen will, zerfällt sein Spiegelbild. Genau darunter leiden auch die Betroffenen. In dem Moment, in dem sie Kontakt zu sich suchen, haben sie das Gefühl, sich aufzulösen und „nichts zu sein“. Dies führt dazu, dass sie beginnen, vor sich selbst zu fliehen und ihre Identität im Außen zu suchen.

 

Wer das Gefühl hat, nichts zu sein, der muss im Außen alles sein – gleichzeitig ist er bereit, über alle Grenzen zu gehen. Denn er hat ja nichts zu verlieren.

 

Doch die äußere Grenzenlosigkeit und der damit verbundene Superlativ erklären sich nicht nur durch die zutiefst empfundene innere Minderwertigkeit. Wer mit sich nicht in Beziehung steht, der kennt auch nicht sein wirkliches Maß und seine wirklichen Bedürfnisse. Er ist nicht in der Lage zum richtigen Zeitpunkt ‚Ja‘ und zum richtigen Zeitpunkt ‚Nein‘ zu sagen –  und erschöpft sich dadurch immer weiter. Gleichzeitig besteht eine immer größere äußere Abhängigkeit. Je weniger jemand über eine eigene echte Identität verfügt, sondern sich über das Außen identifiziert, umso haltloser, konfliktunfähiger und stressanfälliger ist er. Die meisten, die sich erschöpfen, erschöpfen sich neben der eigenen Grenzenlosigkeit auch über äußere Konflikte und darüber, dass ihre falschen Identitäten zusammenbrechen, dass das, womit sie sich in ihrem Leben identifiziert haben, nicht gelingt.

 

 

Alexandra Vollmer: Das klingt nach einem wahren Teufelskreis. Und nach einem viel, viel komplexeren Problem als: „Ich hab‘s im Job übertrieben“. Wenn die Ursache für das Burnout-Syndrom in sämtlichen Lebensbereichen zu finden ist, warum hat die Krankheit dann dieses rein berufliche Etikett bekommen?

 

Dr. Mirriam Prieß: Weil sie sich hier einfach sehr oft äußert. Der Beruf ist einer unserer wichtigsten Lebensbereiche – neben dem Bereich Partnerschaft/Familie. Hier wird sehr häufig die eigene Identität gesucht. Wenn ich also hier in einen Konflikt gerate und dem nichts entgegensetzen kann, beginnt die gefährliche Abwärtsspirale. Zudem bietet der Beruf den Betroffenen auch oft ein dankbares Umfeld, sich in Superlativen zu erschöpfen.

 

 

Alexandra Vollmer: Gibt es bestimmte Berufe oder Hierarchien, wo das Burnout-Syndrom verstärkt auftaucht?

Dr. Mirriam Prieß: Menschen mit Burnout findet man überall dort, wo der Beruf die Möglichkeit gibt, sich grenzenlos zu beweisen. Letztlich überall dort, wo das System das narzisstische Prinzip lebt: Wo Grenzen dazu da sind, überschritten zu werden – um jeden Preis. Und ohne Augenmerk auf das Wesentliche. Es geht rein um den Superlativ. Und das finden wir letztlich überall – da kann man die Wirtschaft rauf und runter blicken. Grundsätzlich betroffen sind dabei vor allem die Führungspositionen. Oder aber die Berufe, die in der Öffentlichkeit stehen: Geringes Selbstwertgefühl, Ohnmacht und Minderwertigkeit werden durch öffentliche Machtpositionen und damit verbundenen Beifall und Anerkennung kompensiert.
Aber auch in den sozialen Berufen besteht eine große Burnout-Gefahr: Hier wird die eigene Ohnmacht und Minderwertigkeit durch die grenzenlose Hilfe zu kompensieren versucht- nach dem Prinzip: „Ich werde dadurch mächtig und gewinne an Bedeutung, weil ich für andere da bin.“

 

 

Alexandra Vollmer: Warum, denken Sie, nimmt diese Erkrankung so dermaßen zu?

Dr. Mirriam Prieß: Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer weniger Menschen über eine wahre Identität verfügen und die Fähigkeit zur Beziehung immer mehr verloren geht. Leben ist Begegnung und Beziehung. Die Beziehung zu mir selbst und zur Umwelt. Und Grundlage für gelingende Beziehungen ist immer der Dialog. Wer mit sich und der Umwelt nicht im Dialog steht, kann nicht zu seiner wahren Identität finden und dementsprechend auch nicht zu einem erfüllten Leben. Die Grundlage für diese Dialogfähigkeit wird im Elternhaus gelegt. Dabei stehen nicht einzelne Erfahrungen im Vordergrund, sondern die Atmosphäre, in der wir tagtäglich aufgewachsen sind. Im Zentrum steht dabei, welche Beziehungserfahrungen wir als Kind gesammelt haben: Wie sind unsere Eltern mit sich selbst, untereinander und mit uns in Beziehung getreten? Und daraus lernen wir, mit uns und der Welt in Beziehung zu treten. Es gilt: Das Kind lernt den Blick für sich selbst, wenn es von seinen Eltern erkannt wird. Wenn es im Elternhaus zu keinen echten Beziehungen kommt, sondern die Kinder über die Vorstellung der Eltern definiert werden oder die Eltern sich selbst über Vorstellung definieren und keine eigene Identität besitzen, kommt es zu einer Störung auf der Beziehungsebene. Der Grundstein für ein ungesundes Leben ist gelegt.

 

Gleichzeitig leben wir in einer Welt, in der Beziehung immer virtueller gestaltet wird. Wir veröffentlichen uns heute nahezu grenzenlos in sozialen Netzwerken und haben verlernt, real miteinander in Beziehung zu treten und uns im Dialog auf Augenhöhe zu begegnen. Wir sind überfordert, wenn wir einander – und uns selbst – gegenüber stehen und uns im ‚Ja‘ wie im ‚Nein‘ zu begegnen.

 

 

 

Alexandra Vollmer: Haben die Medien mal wieder Schuld? War denn früher alles besser?

Dr. Mirriam Prieß: Ich halte grundsätzlich nicht viel von Schuldzuweisung – sondern halte die Frage der Verantwortung für wesentlicher. Sicherlich haben auch die Medien ihre Verantwortung in und an der heutigen Gesellschaft. Aber der springende Punkt ist: Früher waren die Menschen mehr aufeinander bezogen und befanden sich in festeren Strukturen. Beziehung zueinander hatte einen ganz anderen notwendigen Stellenwert – ob es den Menschen damals jedoch grundsätzlich besser ging, stelle ich in Frage. Damals ging es jedoch erst einmal um die Absicherung der eigenen Existenz und um das reine körperliche Überleben. Und in dieser existenziellen Frage wurden bestehende Strukturen wesentlich weniger hinterfragt – ebenso wenig, wie sich die Frage nach der eigenen Identität gestellt wurde.  Heute leben wir in einer Gesellschaft, in der für unser körperliches Überleben, unsere Existenz, gesorgt ist. Wir haben das erste Mal die Möglichkeit uns die Frage nach dem psychischen Leben bzw. Überleben zu stellen. Gleichzeitig lösen sich immer mehr Strukturen auf, Beziehungen werden immer virtueller und verlieren im Realen immer mehr an Wert und Bestand. Wir haben nahezu grenzenlose Freiheiten, unser Leben in allen Richtungen, wenn gewollt, auch allein zu gestalten. Dieser Freiheit und der sich darin zwingend ergebenden Frage nach dem Wesentlichen, kann noch nicht wirklich begegnet werden.

 

Dabei ist dies meiner Ansicht nach die zentrale Frage unserer heutigen Zeit: Die Frage nach dem Wesentlichen, die Frage nach der eigenen Identität, die Frage nach einem identischen Leben.

 

Wenn diese nicht beantwortet wird, dann wird sich unsere Gesellschaft immer weiter erschöpfend verlieren.

 

 

Alexandra Vollmer: Vielen Dank, Frau Dr. Prieß, für den Blick hinter die Burnout-Kulisse. Ich freue mich sehr auf unser nächstes Gespräch!

 

Im nächsten Blogbeitrag (inzwischen erschienen) wollen wir nachbohren: Wie kommen wir raus aus dieser Schieflage? Wie können wir uns selbst retten und uns wieder in unserem Leben zu Hause fühlen?

 

Und schon mal ein kleiner Ausblick auf Teil 3 (inwzischen erschienen): Hier legen wir den Fokus – getreu unserer Mission – dann auf einen ganz konkreten Lebensbereich, den Lebensbereich „Arbeit und Beruf“.

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